Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Montag, 7. Februar 2011

Pretty Potato

Pretty potato
Es war Donnerstag in Nürnberg.
Anderswo war es natürlich auch Donnerstag, aber hier, auf dem Platz vor dem Rathaus, wurde der älteste Wochenmarkt Deutschlands abgehalten. Das war das Besondere.
Jede Woche, jeden Donnerstag, seit mehr als tausend Jahren.
Könige waren gekrönt und enthauptet worden, man hatte Päpste gewählt und zu Teufel gewünscht, Hexen verbrannt und Kriege jeder Art geführt.
Der Markt interessierte sich nicht dafür. Er öffnete um sieben und schloss um zwei. Das war Tradition und daran änderte sich nichts.

Die Gesichter der Händler waren vom Wetter zerfurcht, und ihre Stimmen waren ebenso rauh wie ihre Hände.
Sie priesen ihre Waren an, das Kleingeld klimperte, die Würstchen zischten auf dem Rost und das Federvieh hatte dunkle Vorahnungen.
Im Schatten, unter Hubers Obst - und Gemüsestand lag eine leicht verschrumpelte Kartoffel.
Sie hieß Cilena und war am Morgen vom Tisch gefallen.
Cilena genoß die Kühle und den Frieden. Hier würde sie niemand behelligen. Keine Menschenhände würden sie heute befingern und dann als „zu alt“ zurück legen. Heute nicht.
Nein, heute war ein guter Tag, davon war sie überzeugt.

Pluto, ein reinrassiger Retrievermischling aus gutem Hause, hatte sein betrunkenes Herrchen im Biergarten sitzen gelassen und schnüffelte auf verschlungenen Pfaden allein durch das Gewimmel.
Ja, nichts roch so gut, wie ein Markttag im Sommer.
Vor allem unter und hinter den Ständen,da wo man nicht hin durfte. Bleiche Fischköpfe mit glasigen Augen gab es da, geronnenes Schweineblut und manchmal sogar eine grüne Leberwurst mit leichtem Schimmelpilz.
Plutos Nase konnte sich keinen anderen Himmel vorstellen.

Cilena hing ihren Gedanken nach.
Ach, es gab so vieles, worüber man als Kartoffel in mittleren Jahren nachsinnen musste.
Es waren nicht Themen wie Falten oder Altersflecken, die sie beschäftigten. Oh nein, es waren die großen Fragen um die es ging.
Wie konnte man dem Hunger auf der Welt begegnen, ohne die Kartoffeln zu benachteiligen?
Wie konnte man den ewigen Konflikt mit den Menschen beilegen, die sich doch immer neue Gemeinheiten gegen ihr Volk ausdachten?
Wie konnte man so schaurige Begriffe wie: BRAT-Kartoffeln, Pommes FRITES ( eine französische Form der Barbarei), PELL-Kartoffeln oder Kartoffel-BREI ein für alle mal aus dem Wortschatz der Welt verbannen? Die Erinnerung an das Schicksal ihrer mehlig - kochenden Verwandtschaft jagte ihr gerade kalte Schauer über den Rücken, als sie sich einer feuchten Hundeschnauze gegenüber sah.
Ein Monstrum, ein Kartoffelfresser! Es hatte sie entdeckt.
Die schwarze Nase glänzte, schnüffelte und schnaubte, dass es Cilena durch durch Keim und Pelle ging.
Sie sah die Leberwurstreste zwischen seinen Reißzähnen, sah seine Zunge die lüstern aus dem Maul baumelte und roch seinen fauligen Atem.
Unter ihrer bescheidenen Schale war sie noch immer eine köstliche Knolle, und dieses Ding würde sie verschlingen, ganz bestimmt.
Die Welt wurde blendend hell, und Celina wurde ohnmächtig.

Pluto legte den Kopf schief und fragte sich, was er da denn wohl gefunden hatte. Gut riechen tat es jedenfalls nicht. Ein Ball vielleicht? Pluto war kein großer Denker, also stupste er seine Entdeckung probehalber mit der Nase an.
Diese Berührung kam einem Küsschen gleich und augenblicklich
machte es „FUMP!“
Ein Geräusch,wie das Platzen einer kolossalen Kaugummi Blase.
Der Obststand wurde in die Höhe gestemmt. Kisten polterten zu Boden, das Gestänge der Überdachung knickte ein und eine Welle von Südfrüchten brandete den Marktbesuchern entgegen.
Den Huberbauern, dem der Stand gehörte, haute es von den Füßen und er krachte rücklings in die Wassermelonen.
Aus den Trümmern erhob sich eine Gestalt.
Sie trug ein Dirndl so rot, wie ein Feuerwehrauto und die Reste einer Pampelmuse klebten in ihrem Haar.
Plutos Kuss hatte Cilena zurück verwandelt in das,was sie eigentlich war: Eine gut erhaltene Bäuerin von knapp fünfundfünfzig Jahren.
Ja, mi leckts am...“ entfuhr es dem Huberbauern. Er hatte sein Lebtag noch keine Erscheinung gehabt, aber dies war ganz bestimmt eine, das war sicher. Von einer höheren Macht hervorgerufen. Vom lieben Gott, oder vielleicht sogar vom Bayerischen Rundfunk.
Alois Huber lag in seinen Wassermelonen, bekam eine feuchte Hose und den Mund nicht wieder zu. So etwas Schönes wie Celina hatte er zuletzt im Kino gesehen.
Amors Pfeil steckte tief in Alois Stirn und es war ihm egal, dass die Liebe angeblich blind machen sollte.
Hauptsache der Rest funktionierte.

Sie wurden natürlich ein Paar, der Alois und die Celina, und so heirateten sie schon bald im Rathaus zu Nürnberg.
Pluto bekam zur Belohnung so viele Weißwürste und so viel Starkbier, dass er auf die Marmortreppen kotzte.
Alois und Cilena wurden glücklich miteinander, und nur manchmal verdunkelte eine kleine Wolke den Himmel über Cilenas Seligkeit.
Alois war ein großartiger Bursche und ein diensteifriger Liebhaber, aber der Pluto, der küsste eindeutig besser.

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